
1869–1881
Senator und Innenminister
Carl Schurz war als erster Deutschstämmiger in den USA Senator und Minister. In beiden Ämtern verfolgte er mit großer Entschlossenheit seine politischen Vorhaben – trotz teilweise massiven Widerstands.„Unsre Blätter waren voll von meinen Leistungen und der Ruf, daß ich Senator werden müßte, wächst mit jedem Tag. Die Sache fängt an sich zu größerer Wahrscheinlichkeit zu entwickeln“, schrieb Carl Schurz am 2. November 1868 an seine Frau Margarethe. Tatsächlich wurde er im Januar 1869 zum Senator von Missouri gewählt. „Die Schlacht ist geschlagen. Es ist der größte Sieg meines Lebens“, teilte er ihr stolz mit. Schurz war 40 Jahre alt und der erste Deutsch-Amerikaner, der in den Senat einzog.
„Nur wenig mehr als sechzehn Jahre waren vergangen, seitdem ich in Amerika gelandet war, ein Heimatloser, ein aus dem großen Schiffbruch der revolutionären Bewegung in Europa Geretteter“, heißt es in seinen Memoiren. Nun saß er im Kongress und erinnerte sich an seinen ersten Besuch in Washington 1854: „Mit wie viel Ehrfurcht nahte ich mich den großen Männern, und wie hoch schätzte ich die Ehre, als einer von ihnen mich einmal in die eigentliche Senatshalle während der Sitzung mitnahm, berichtete er Margarethe im Februar 1869 und fügte hinzu: „So ändern sich die Zeiten ...“
Auch an seine Eltern musste er denken: „Ich möchte meine alte Mutter und meinen Vater gerne einmal auf die Gallerie des Senats führen und sie auf ihren Sohn in der höchsten Stellung blicken lassen, die ein Fremdgeborener in diesem Lande erreichen kann. (…) Dieses Glück sollten sie genießen, ehe sie sterben.“

Carl Schurz etwa 1860 bis 1865
Mathew Benjamin Brady, Public domain, via Wikimedia CommonsAls Senator setzte er sich für eine Reform des öffentlichen Dienstes ein, denn es war in den USA damals üblich, alle Ämter nach jeder Wahl neu zu besetzen und an Bittsteller und Günstlinge zu vergeben. Dieses sogenannte „Beutesystem“ (spoils system), das den öffentlichen Dienst als „Beute“ betrachtete, war ihm schon lange ein Dorn im Auge. In vielen Fällen ging es mit Korruption einher, denn es ließen sich „kleine fette Nebenverdienste herausschlagen“, wie Schurz in seinen Memoiren erklärte.
Auch er habe sich als frisch gekürter Senator an diesem Beutesystem beteiligen müssen, erläutert der Herausgeber der Lebenserinnerungen, Daniel Göske. Seine Forderung nach einer grundlegenden Reform des öffentlichen Dienstes habe man ihm „als Einführung unamerikanischer ‚preußischer‘ Verhältnisse“ vorgeworfen.
Direkt nach seinem Amtsantritt entwarf Schurz einen Gesetzentwurf, um die Ämterpatronage zu beenden. Doch sollte sich der Kampf um die „Civil Service Reform“ mehr als 20 Jahre hinziehen, so der Historiker Rudolf Geiger. Zudem gab Präsident Ulysses S. Grant ein schlechtes Vorbild ab. Er habe seine gesamte Verwandtschaft und viele alte Freunde mit Posten ausgestattet, klagte Schurz im März 1869 in einem Brief an Margarethe.
Die Präsidentschaft Grants (1869–1877) war denn auch gekennzeichnet von Korruptionsskandalen ungekannten Ausmaßes. Schurz hatte aber auch aus anderen Gründen Auseinandersetzungen mit Grant: Er lehnte ein Gesetz gegen den Ku-Klux-Klan ebenso ab wie die Annexion Santo Domingos. Die Republikanische Partei spaltete sich schließlich in Radikale und Liberale auf. Letztere, zu denen Schurz zählte, gründeten 1872 die Partei der Liberal-Republikaner.
Die neue Partei wollte in erster Linie eine Wiederwahl Grants verhindern, der für Korruption und Selbstbedienung stand, und nominierte daher einen eigenen Präsidentschaftskandidaten. Carl Schurz kam aus formalen Gründen nicht infrage, weil er nicht in den USA geboren war. Doch war er Versammlungsleiter eines Parteitags Anfang Mai, bei dem Horace Greeley aufgestellt wurde.
Carl Schurz wurde 1872 zur bevorzugten Zielscheibe des Karikaturisten Thomas Nast. Der im pfälzischen Landau geborene Deutsch-Amerikaner war elf Jahre jünger als Schurz und arbeitete als Zeichner für Harper’s Weekly. Nast war zwar ebenfalls Republikaner, aber im Gegensatz zu Schurz, der vehement gegen Präsident Grant kämpfte, war Nast ein treuer Gefolgsmann des Präsidenten. Entsprechend scharf griff er die abtrünnigen Liberal-Republikaner, ihren Wortführer Schurz und ihren Präsidentschaftskandidaten Greeley an.

Thomas Nast kommentiert eine Versammlung der Liberal-Republikaner, Greeley steht auf einem Stuhl, vorne rechts sitzt Schurz
Thomas Nast, Public domain, via Wikimedia CommonsOffenbar begegneten sich Schurz und Nast im März 1872 in Washington persönlich. Nach Angaben des Nast-Biografen Albert Bigelow Paine kam es dabei zu einem heftigen Wortwechsel.
„Ich werde ihre Angriffe gegen mich weiterhin nicht hinnehmen“, sagte Schurz wütend.
„Warum nicht, Senator?“, fragte Nast.
„Ihre Zeitung wird sie nicht erlauben!“
„Oh, ich glaube sie wird es“, entgegnete der Künstler.
„Gut, dann werde ich es eben nicht“, erklärte Schurz drohend. „Ich werde Sie in aller Öffentlichkeit angreifen!“
Nach diesem Zusammenstoß attackierte der kleine beleibte Zeichner den großen schlanken Senator nur umso heftiger.
Thomas Nast: „Der Turm der Stärke“, Carl Schurz mit instabilen Storchenbeinen und „Ausgespielt“, Carl Schurz, der ein guter Klavierspieler war, in frustrierter Pose
Thomas Nast, Public domain, via Wikimedia CommonsThomas Nast griff Schurz während des Präsidentschaftswahlkampfs im Sommer 1872 in unzähligen Karikaturen an. So legte er ihm in einer Zeichnung nahe, nach Deutschland zurückzukehren, wenn ihm die amerikanische Politik nicht passe.

Fast täglich fahren Dampfschiffe nach Deutschland, die günstig sind…
Thomas Nast, Public domain, via Wikimedia CommonsDie Präsidentschaftswahl war ein Debakel für die Liberal-Republikaner: Ihr Widersacher Grant gewann haushoch. Die Partei löste sich in der Folge auf. Schurz blieb bis 1875 Senator, wurde dann aber nicht wiedergewählt. Seinen Abschied aus dem Senat kommentierte Thomas Nast ebenfalls.

Ein geschrumpfter Carl Schurz im Papierkorb samt seinen politischen Vorhaben als Senator
Thomas Nast, Public domain, via Wikimedia CommonsIm Jahr 1876 machte Carl Schurz Wahlkampf für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Rutherford B. Hayes. Als dieser die Wahl gewonnen hatte, wurde Schurz Innenminister in dessen Kabinett. Wie bereits bei seiner Wahl zum Senator war er auch als Minister der erste Deutschstämmige.

Das Kabinett von Präsident Hayes, Carl Schurz sitzt hinten in der Mitte
Currier and Ives, Public domain, via Wikimedia CommonsSeine Frau Margarethe erlebte diesen großen Triumph nicht mehr: Sie war im März 1876 nach der Geburt ihres fünften Kindes gestorben. Auch die Eltern von Carl Schurz waren bereits tot, als er das Amt im März 1877 antrat.

Carl Schurz als Innenminister, 1877
M. B. Brady, Public domain, via Wikimedia CommonsAls Innenminister setzte Carl Schurz seine Bemühungen um eine Reform des öffentlichen Dienstes fort. Dies betraf nicht zuletzt die Abteilung für „Indianerangelegenheiten“ (Office of Indian Affairs), die ihm unterstand. Sie galt als besonders korrupt: Die Angestellten der Regierung, die vor Ort für die Verwaltung der Reservate zuständig waren, nutzten ihre Position häufig zur persönlichen Bereicherung. Schurz setzte einen Untersuchungsausschuss ein, entließ unfähige Mitarbeiter und verstärkte die Aufsicht.

Carl Schurz bekämpft Korruption in der Abteilung für „Indianerangelegenheiten“, Karikatur von Thomas Nast
Thomas Nast, Public domain, via Wikimedia Commons“That the history of our Indian relations presents, in great part, a record of broken treaties, of unjust wars and of cruel spoliation, is a fact too well known to require proof or to suffer denial.”
Carl Schurz
Als Carl Schurz das Innenministerium 1877 übernahm, lag die Niederlage der US-Armee am Little Bighorn noch kein Jahr zurück. Dort hatten die Sioux und Cheyenne unter Sitting Bull und Crazy Horse ein von George Armstrong Custer geführtes Kavallerieregiment im Juni 1876 vernichtend geschlagen. Die Zuständigkeit für die Reservate sollte deshalb vom Innenministerium an das Kriegsministerium gehen. Schurz verhinderte dies trotz massiven Widerstands, weil er die Ausrottung der Indigenen befürchtete.

Innenminister Schurz und General Philip Sheridan streiten sich um die Zuständigkeit für „Indianerangelegenheiten“. Karikatur von Thomas Nast
Thomas Nast, Public domain, via Wikimedia CommonsDie Beziehungen der Weißen zu den Indigenen seien gekennzeichnet durch gebrochene Verträge, ungerechte Kriege und grausame Plünderungen, schrieb Schurz 1881 in einem Artikel mit dem Titel „Present aspects of the Indian Problem“, notwendig sei stattdessen „eine rationale Politik“, die Schaden von den Indigenen abwende. Dafür werde er jedoch von allen Seiten kritisiert: einerseits von denen, die glaubten, „nur ein toter Indianer sei ein guter Indianer“, und andererseits von „Philanthropen“, die die „Umstände“ außer Acht ließen.
Der Karikaturist Thomas Nast, ein großer Anhänger der Armee, gehörte offenbar zur ersten Gruppe. Seiner Ansicht nach zeigte Carl Schurz viel zu viel Verständnis für die Indigenen und hinterließ am Ende seiner Amtszeit einen Scherbenhaufen.

Thomas Nast kommentiert das Wirken von Carl Schurz als Innenminister
Thomas Nast, Public domain, via Wikimedia CommonsHeute, eineinhalb Jahrhunderte später, entzündet sich die Kritik vor allem an der Umsiedlungspolitik sowie an Integrations- und Assimilierungsmaßnahmen, wie zum Beispiel der Erziehung indigener Kinder in Internaten. Doch macht nicht zuletzt die Haltung, die in den kritischen Karikaturen von Nast zum Ausdruck kommt, deutlich, dass Schurz‘ Positionen im damaligen historischen Kontext durchaus fortschrittlich waren.
Unzählige Berichte, Reden, Briefe und andere Dokumente, in denen Schurz zu seiner Politik Stellung nahm, deuten darauf hin, dass er mit der Schulbildung von Jungen und Mädchen Chancen und mit individuellem Landbesitz wirtschaftliche Unabhängigkeit und Stolz verband. Seine „zivilisierenden“ Maßnahmen waren idealistisch motiviert, doch wissen wir heute, dass die Assimilierungspolitik für die Indigenen letztlich unendlich viel Leid bedeutete.
"Schurz was a nineteenth-century liberal, not a twentieth-century pluralist.”
Hans L. Trefousse über Carl Schurz
Der Schurz-Biograf Hans L. Trefousse veröffentlichte 1984 eine Analyse der einzelnen Integrationsmaßnahmen und plädierte dafür, sie im damaligen historischen Kontext zu bewerten. „It may be argued, of course, that the Indian schools represented the assimilation movement at its worst”, schrieb er. Richtig sei aber auch, dass niemand mehr für die Bildung indigener Kinder getan habe. Die Aufteilung der Reservate in Parzellen habe sich zwar später nicht bewährt, „although in Schurz’s time the measure seemed a step forward“. In seiner kritischen Abwägung der gesamten Politik von Schurz hinsichtlich der Indigenen kam Trefousse zu dem Schluss: „All in all, his record in Indian relations was a positive one.“

Carl Schurz und eine Delegation der Ute, 1880. Fotografie von Mathew Benjamin Brady
Mathew Benjamin Brady, Public domain, via Wikimedia CommonsDer US-Historiker wies außerdem darauf hin, dass Schurz die indigenen Gebiete besuchte, mit den Betroffenen sprach und Fehler korrigierte: „Schurz was not unwilling to admit mistakes. In 1879 and 1880 he undertook two extensive trips to the West to study the Indian problem firsthand. Meeting with various tribes, listening to their chief’s complaints, (…) he concluded that the removal policy was wrong.”
„My extensive observations and study of the matter gradually convinced me that this was a mistaken policy”.
Carl Schurz über die Umsiedlungspolitik
Schurz hatte die Umsiedlungspolitik geerbt, als er sein Amt als Innenminister antrat, setzte sie aber zunächst fort. Im Fall der Poncas führte dies zu einem Desaster, für das er hart kritisiert wurde. Er bereute diese Politik und setzte sich dafür ein, dass die Poncas für ihr Leid entschädigt wurden. In seinem letzten Bericht als Innenminister bekannte Schurz 1880: „My extensive observations and study of the matter gradually convinced me that this was a mistaken policy.” Er habe nicht gezögert, Fehler zuzugeben, bemerkt Trefousse: “Although he had only short time left in office, and many another official would have let the matter rest rather than admit error.”
„Diese Liebe für den Wald hat mich niemals verlassen.“
Carl Schurz
In seinen Lebenserinnerungen schildert Carl Schurz, dass er auf seinem Schulweg von Liblar nach Brühl lieber auf Pfaden durch den Wald ging als an der Straße entlang. Er habe dabei „den ganzen Zauber der Waldeinsamkeit mit der geheimnisvollen Stille unter dem Laubdach und dem wunderbaren Flüstern des Windes in den hohen Wipfeln“ gefühlt. Seine Liebe zum Wald und der Naturschutz prägten auch seine Politik als Innenminister. Er stellte fest, dass Holzfäller, Siedler und Bergleute in den staatlichen Wäldern Raubbau betrieben und Jäger wie Goldsucher mit ihren Lagerfeuern große Waldbrände verursachten.
Seine Vorschläge für einen besseren Naturschutz stießen jedoch im Kongress auf taube Ohren. „Die Nutznießer des Raubbaus hatten ihre Beschützer in der hohen Politik“, schreibt der Historiker Rudolf Geiger. Außerdem habe man ihm vorgeworfen, er wolle „im Land der Freiheit ein preußisches Reglement einführen“. Doch sei es Schurz immerhin gelungen, Waldschutzgebiete einzurichten und eine Bundesforstverwaltung aufzubauen.

Carl Schurz geht als Waldpolizist einem Holzfäller an die Gurgel und wird von Senator James Blaine gestoppt, Karikatur eines unbekannten Zeichners
via Wikimedia CommonsIm Yellowstone Nationalpark ist heute ein Berg nach Schurz benannt. Kurz vor dem Ende seiner Amtszeit als Innenminister hatte er es abgelehnt, dort die Errichtung eines Hotels zu genehmigen.

